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Ein Thema des Gipfels ist die Digitalisierung der Wirtschaft.

© imago

IT-Gipfel in Hamburg: Digitale Agenda im Stau auf der Datenautobahn

Mit ihrer „Digitalen Agenda“ will die Bundesregierung die Wirtschaft modernisieren. Doch der Aufbruch verzögert sich – auch weil sich die beteiligten Ministerien keinen Erfolg gönnen.

Von Anna Sauerbrey

Kürzlich lud der „Verband der deutschen Internetwirtschaft“ (Eco) zu einem politischen Abend mit den parlamentarischen Staatssekretären Brigitte Zypries (Wirtschaft, SPD) und Ole Schröder (Inneres, CDU). Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt debattierte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit Googles Verwaltungsratschef Eric Schmidt, ein spannendes Duell, aber ein paar Dutzend Mitglieder kamen dennoch zum Eco. Wer sich die „Digitale Agenda“ der Bundesregierung denn schon einmal durchgelesen habe, fragte der Moderator. „Joa, rund die Hälfte“, zählte er. Das war großzügig.
Heute kommen Vertreter von IT-Wirtschaft, Industrie und Regierung zum achten Nationalen IT-Gipfel in Hamburg zusammen, und es würde sich lohnen, den Test dort zu wiederholen. Denn ab sofort soll der IT-Gipfel an der Umsetzung des 40 Seiten starken Papiers mitwirken, das die Digitalstrategie der Bundesregierung umreißt. Von der Verknüpfung erhofft sich die Regierung offenbar die Lösung zweier Probleme: Zum einen will die „Digitale Agenda“ nicht recht zünden, und zum anderen braucht auch der IT-Gipfel neue Impulse.

Wirtschaftsminister Gabriel, so ist aus Kreisen der Organisatoren zu hören, hätte den Gipfel am liebsten aufgegeben. Doch die Kanzlerin wollte ihn behalten. Angela Merkel wolle sich in diesem Jahr für eine stärkere Einbindung der Zivilgesellschaft in das Treffen starkmachen und sich zur Netzneutralität positionieren, heißt es, auch die Digitalisierung der Industrie und die Start-up-Förderung sollen Themen sein.
Für die meisten Unternehmer sind die Inhalte aber ohnehin nachrangig. Für sie ist der Gipfel ein Netzwerkertreffen. Wichtig ist, wer alles eine Einladung bekommen hat und wer nicht. Am Vormittag trifft man sich zunächst in den Gipfel-Arbeitsgruppen, die nun nach den Themenfeldern der „Digitalen Agenda“ benannt sind. An den Inhalten der Diskussionen wird sich allerdings wohl wenig ändern, denn in der „Digitalen Agenda“ wurde vor allem das gebündelt, was ohnehin schon in den Ministerien bearbeitet wurde. „Es gibt kaum Themen, die speziell für die ,Digitale Agenda‘ entwickelt wurden“, sagt Bernhard Rohleder, Geschäftsführer des Bitkom. Zwar lobt er, dass die Regierung inzwischen mit mehr Energie als bisher an die Umsetzung geht: So liegen etwa der Entwurf des IT-Sicherheitsgesetzes und ein Kursbuch der Netzallianz zum Breitbandausbau vor. Doch er ist nicht der Einzige, dem das nicht reicht. „Entscheidend ist, dass bald auch etwas Neues kommt“, sagt etwa der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek.
Fragt man unter Politikern und Verbänden herum, woran die „Digitale Agenda“ noch hakt, werden immer wieder dieselben Punkte genannt. Da ist vor allem das Hickhack zwischen den drei beteiligten Ressorts Wirtschaft, Innen und Verkehr. Sebastian Rieger von der Stiftung Neue Verantwortung hält es für „einen Geburtsfehler“, keine eindeutige Zuständigkeit geschaffen zu haben. Nicht nur wegen des Mehraufwands an Absprachen. „Es fehlt die politische Verantwortung für das Vorankommen des Großprojekts.“

In der Praxis funktionieren die Absprachen offenbar mal mehr, mal weniger gut. Der Blogger und Aktivist Markus Beckedahl (Netzpolitik.org) berichtet, bis heute würden ihn Beamte aus dem Innen- und Wirtschaftsressort anrufen, um zu fragen, wer für ihr jeweiliges Gebiet in einem der anderen Häuser zuständig sei. Manchmal kommt selbst Brigitte Zypries durcheinander. Danach befragt, wie es mit dem Gipfel weitergehen soll, muss sie kurz überlegen: „Das ist, glaube ich, ressortabgestimmt. Wenn ich das richtig sehe.“ Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Eco hingegen, ist zufrieden: „Wo ich hinkomme, hat man schon mit den anderen Ministerien gesprochen.“

Das Parlament wird zu wenig einbezogen

Am stärksten seien die Folgen der Neuorganisation der Netzpolitik noch im Verkehrsministerium (BMVI) zu spüren, berichten Lobbyisten. Minister Alexander Dobrindt (CSU) hat eine neue Abteilung mit dem Titel „Digitale Gesellschaft“ geschaffen. Dazu zogen Referate aus dem Wirtschaftsministerium um, zusätzliche Planstellen inklusive. Auf Anfrage des Tagesspiegels teilte das BMVI mit, dass die neuen Stellen bislang zur Hälfte besetzt seien.
Noch hinderlicher erscheinen vielen Beobachtern die politischen Eifersüchteleien zwischen den drei Häusern. Die drei zuständigen parlamentarischen Staatssekretäre, Brigitte Zypries, Ole Schröder und Dorothee Bär, schenkten sich nichts, so der Eindruck von Abgeordneten und Verbänden. Aber auch die Minister Dobrindt und Gabriel selbst würden dem anderen keinen Erfolg gönnen.
Als zweites großes Hindernis wird die mangelnde Einbeziehung des Bundestags gesehen. Der im Februar für dieses Thema eingesetzte Ausschuss hat erst jetzt die Federführung für das Papier „Digitale Agenda“ erhalten. Aus Kreisen des Ausschusses ist zu hören, dass Volker Kauder und Michael Grosse-Brömer (beide CDU) selbst das verhindern wollten. Auf Verbandsvertreter wirken die zuständigen Abgeordneten seltsam schlecht informiert. Bis ein Thema von der Staatssekretärin beim Ausschussvorsitzenden gelandet sei, vergehe ein halbes Jahr, sagt Eco-Chef Rotert.
Der neue Ausschuss hat bislang tatsächlich kaum etwas zu tun. Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, will sich damit nicht abfinden. Ihm sei wichtig, „dass wir einbezogen werden“. Immerhin wurde nun mit den drei Ministerien vereinbart, dass sie den Ausschuss einmal im Halbjahr über den Stand der „Digitalen Agenda“ informieren.

Der Stimmung beim „Klassentreffen“ in Hamburg wird all das kaum schaden. Denn immerhin lässt sich auf so einem Gipfel ja gut netzwerken.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 21. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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